Projekt ist nicht gleich Projekt…

Während des Besuchs bei Passos da Criança wurde uns klar, dass dieses Projekt aus einem größerem Projekt für Strassenkinder hervorgegangen ist.
Adilson, der Gründer von Passos, war früher selbst ein Strassenkind und wuchs in der „Chácara Meninos de 4 Pinheiros“ (Jungen der 4 Kiefern) auf.
Er lud uns ein, diese Chácara zu besuchen.
Also trafen wir uns um 9.30 Uhr und fuhren gemeinsam mit Dominique, einer Praktikantin aus der Schweiz, auf das Land…die Chácara liegt ca. 1,5 Stunden von Curitiba entfernt, irgendwo im brasilianischen Regenwald in einem kleinen Dorf. Die einzige Verbindung zur Außenwelt ist eine Busverbindung. Aber selbst der Weg zur Bushaltestelle an der viel befahrenen Hauptstraße dauert zu Fuß knapp 25 Minuten.

Angekommen in der Chácara erinnert uns zunächst nichts an das versprochene Landhaus. Vielmehr erwartet uns ein Gelände mit Zweckbauten aus Beton, das eher an ein Jugendlager aus früheren Zeiten erinnert – ein Vielzweckgebäude als zentraler Punkt, daneben die Wäscherei und zwei Häuser mit Schlafräumen.

In der Chácara leben nur Jungs. Maximal ist das Objekt für 80 Kinder und Jugendliche ausgelegt, aktuell sind es nur 34…letzte Woche sind 3 abgehauen und nicht wieder gekommen. Der momentan Jüngste ist 11 Jahre alt, alle bleiben bis zu ihrem 18. Geburtstag hier. Aufgenommen werden Jungen ab dem 7. Lebensjahr. Die meisten haben bereits eine „Karriere“ als Strassenkind hinter sich. Viele auch schon Drogensucht und einen Entzug. Was mit den Jungen nach der „Entlassung“ aus der Chácara passiert, ist nicht klar. Es gibt einige wenige positive Beispiele, wie Adilson, aber viele Jungen gehen zurück auf die Strasse.
Zunächst werden wir zu einer Gesprächsrunde eingeladen. Alle Jungs sollen teilnehmen, doch schnell merken wir, dass es hier mit den Pflichten der Jugendlichen nicht so Ernst genommen wird. Von den 34 Jungen sind vielleicht 15 anwesend. In der Runde sollen zunächst alle ihre Träume und Wünsche benennen. Auch hier merken wir, dass die Jungen in diesem Projekt viele Freiheiten haben – während der Runde laufen einige hinaus, andere kommen später hinzu und verschwinden kommentarlos wieder. Die Träume der Jungen sind vielsagend. Samuel, ein grossgewachsener Junge, der erst seit kurzem wegen familiärer Probleme im Projekt ist, wünscht sich eine Familie, die er nie hatte. Victor, ein dunkelhaariger cleverer Junge, träumt davon, eines Tages Arzt zu werden, ohne zu wissen, was für einen Weg er bis dahin bestreiten müßte…Gabriel, mit 11 Jahren der Jüngste in der Chácara, möchte zurück in seine Heimatstadt nach Sao Paulo. Andere wollen Fußballprofi oder Automechaniker werden.
Beim Gespräch mit den Verantwortlichen hinterfragen wir, ob und wie auf diese Wünsche der Jungen eingegangen wird. Wir haben das ungute Gefühl, dass die Träume der Jungen,Träume bleiben werden, denn es scheint, als würde wenig unternommen, die Jugendlichen in ihren Wünschen zu unterstützen oder ihnen zu verdeutlichen, dass ihre Berufswünsche mit viel Eigenmotivation und Anstrengung verbunden sind…Wir sehen nur bei wenigen Jungen wirklich die notwendige Eigendisziplin, für ihre Träume zu kämpfen. Und auch bei den Erziehern und Therapeuten im Projekt scheint eine gewisse Gleichgültigkeit und Resignation vorhanden…im Gespräch wird unser Gefühl verstärkt, dass vielmehr ÜBER die Jungen als MIT ihnen geredet wird. Beide Seiten scheinen nur in geringem Maß ein gemeinsames Ziel zu verfolgen.
Beim anschließenden Rundgang über das Gelände offenbart sich die typische Lethargie und Gleichgültigkeit, die wir in den letzten Tagen häufig beobachtet haben…bröckelnde Farbe an den Wänden, übel riechende Waschräume und Toiletten, unaufgeräumte Einzel- bis 4-Bett-Zimmer. Für uns ist nicht klar, warum es den Erziehern nicht gelingt, die Jungs zu einfachen Aufräum- oder Verschönerungsarbeiten zu motivieren.
Vieles, nein eigentlich alles, wird mit der „besonderen Situation“ der häufig drogenabhängigen Strassenkinder erklärt, in der man von den Jugendlichen nichts erwarten dürfte. Für uns sind dies alles keine Erklärungen für die Zustände in der Chácara. Für uns ist klar, dass es hier nicht darum geht, die Jugendlichen wieder in die Gesellschaft zu integrieren, sondern sie einfach nur bis zu ihrer Volljährigkeit zu beherbergen. Was nach dem 18. Geburtstag mit den Jungen passiert, scheint den meisten egal. Einigen wird eine Ausbildung vermittelt. Dies sind die positiven Beispiele, die an diesem Tag häufig hervorgehoben werden und die zumindest nach außen als Rechtfertigung für das Tun im Projekt dienen. Die allermeisten Jungs verlassen die Chácara jedoch ohne jede Perspektive auf ein normales Leben…sie gehen zurück auf die Straße, zurück in die Obdachlosigkeit, die Drogensucht, die Beschaffungskriminalität…

 

 

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